150 Jahre Widerstand gegen den Paragraphen §218 StGB

150 Jahre Widerstand gegen den Paragraphen §218 StGB

Der § 218 StGB „(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ wird heute 150 Jahre alt.

Nach der heutigen Regelung ist ein Schwangerschaftsabbruch also rechtswidrig, er bleibt aber straffrei, wenn er innerhalb der ersten drei Monate durchgeführt wird und nach einer Konfliktberatung an einer staatlich anerkannten Beratungsstelle erfolgt. Zwischen Beratung und Abbruch müssen mindestens drei Tage liegen. Nicht rechtswidrig ist ein Schwangerschaftsabbruch, wenn eine medizinische oder eine kriminologische Indikation vorliegt.

Seinen Ursprung hat §218 im deutschen Kaiserreich, seine erste Fassung stellte Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts formte sich der erste Widerstand gegen das Gesetz, die Frauenbewegung. Es kam zu erstmaligen offenen Diskussionen im Jahr 1913 in der sogenannten „Gebärstreikdebatte“, welche die Grundlagen für Reformen in der Weimarer Republik bildete.

Der Begriff „Klassenparagraph“ wurde von diesen Diskussionen geprägt. Schon zu diesen Zeiten waren weniger privilegierte Frauen auf „Kurpfuscher“ (Personen ohne medizinische Ausbildung, die Abtreibungen durchführten) angewiesen, während reichere Frauen meist einen Arzt fanden. Weniger privilegierte Frauen hatten also ein sehr viel höhere strafrechtliche und gesundheitliche Risiken.

Der erste Weltkrieg verhinderte eine Reform.

In der Weimarer Republik rückte die Abtreibung immer mehr in den Mittelpunkt als bevölkerungspolitische Debatte und es bildete sich eine Massenbewegung gegen den §218, gefördert durch die radikale Frauenbewegung „Bund für Mutterschutz und Sexualreform“ (BfMS) und die Sexualreformbewegung. Dabei wurden Hilfsnetzwerke aufgebaut, bei denen sich hilfesuchende ungewollt schwangere Frauen über einen Abbruch informieren konnten und an einen helfenden Arzt weitergeleitet wurden. Da die Massenbewegung aber aus sehr vielen unterschiedlichen Gruppierungen mit verschiedenen Ansätzen und Interessen für die Abschaffung des Paragraphen 218 bestand, kam eine dauerhafte Allianz nicht zustande.

Die SPD und KPD bemühten sich in der Weimarer Republik den Paragraphen zu reformieren und zu streichen, scheiterten aber.

Einen ersten Erfolg und die Grundlage für eine Gesetzesform bis in die 1970er Jahre bildete der Beschluss vom 11.3.1927, der eine medizinische Indikation als Abtreibungsgrund zuließ.

Unter der Diktatur der Nationalsozialisten wurde die Sexualreform zerschlagen und das Abtreibungsgesetz für die Durchsetzung des NS-Doktrins missbraucht. Abtreibungen wurden in verfolgten Bevölkerungsgruppen erzwungen, während in den von der NS-Diktatur gewünschten Bevölkerungsgruppen Abtreibungen mit 15 Jahre Zuchthaus oder der Todesstrafe bestraft wurden.

Zu Zeiten der DDR galten zunächst soziale, kriminologische und medizinische Indikationsmodelle, welche 1950 wieder gestrichen wurden. Daraufhin kam es zu einer Höchstzahl an illegalen Abtreibungen.

Mittels sogenannter Eingabe protestierten Frauen gegen die strengen Auflagen und für Selbstbestimmung und wiesen auf die Missstände hin. Auch durch die Frauenbewegung in der BRD wuchs der Druck auf die DDR. Es wurde erreicht, dass zunächst Indikationen wieder aufgenommen wurden und schließlich 1972 die Indikationsmodelle durch eine Fristenregelung ersetzt wurden. Das heißt, dass wie heute ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche legal war und von Gynäkolog*innen durchgeführt werden musste. Dass die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch ein „Recht der Frau“ war, war zu diesem Zeitpunkt eine Neuheit.

In der BRD galt weiterhin der §218 StGB. Im Jahr 1970 formte sich aus einer studentischen Bewegung und Zusammenschlüssen von verschiedenen Projektgruppen eine Frauenaktion gegen §218.

Im Juni 1971 veröffentlichte „der Stern“, initiiert von Alice Schwarzer, 343 Portraits von Frauen die sich selbst bezichtigten unter der Überschrift „Wir haben abgetrieben!“. Darunter waren prominente und nicht prominente Frauen, die damit hinnahmen, dass ihnen eine Anklage drohte oder dass sie ihren Job verlieren könnten. Dieser Artikel wurde zum nationalen Skandal und entfachte eine neue Welle des Widerstands: es bildete sich die Aktion 218.

Immer mehr Frauen vernetzen sich, sammelten Unterschriften und solidarisierten sich. Im Juli 1971 gab es bereits 86.000 Solidaritätsbekundungen und 2.345 weitere Selbstanzeigen, die mit einen Protestschreiben an den Bundesjustizminister Gerhard Jahn geschickt wurden.

1974 gab es im Bundestag eine Generaldebatte zur Änderung des Paragraphen, es handelte sich vor allem um die Debatte Indikationsreglung versus Fristenmodell. Der Bundestag stimmte mit knapper Mehrheit für das Fristenmodell (d.h. eine straffreie Abtreibung bis zur 12. Woche), das Bundesverfassungsgericht kippte jedoch das Gesetz mit der Begründung, dass das werdende Leben nicht gegenüber der Mutter wirksam geschützt werde, wie es im Artikel 2 des Grundgesetzes vorgesehen ist.

Am 12. Februar 1976 verabschiedete der Bundestag schließlich eine Reform des Schwangerschaftsabbruchs. Das Verbot blieb erhalten, jedoch galten vier Indikationen bei denen von der Bestrafung abgesehen wurde: medizinisch, eugenisch, sozial und kriminologisch.

Nach der Wiedervereinigung kam es dann zu einem Kompromiss aus den Gesetzen der BRD und der DDR: Das heutige Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch.

Seit 150 Jahren besteht §218 und seit 150 Jahren kämpfen FLINTA* für ihre Rechte auf einen selbstbestimmten Körper, eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, einen Zugang zu Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen und eine sichere Behandlung. Unsere Kämpfe heute wären nicht möglich ohne den beständigen Einsatz der Aktivist*innen.

Wir, die feministischen Mediziner*innen, solidarisieren uns heute mit den Protesten zum 150. Jahrestag des §218 und fordern die Abschaffung der §§218 und 219 StGB! Gegen die Kriminalisierung und Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und für körperliche Selbstbestimmung!

Quellen

https://www.bpb.de/apuz/290795/kurze-geschichte-des-paragrafen-218-strafgesetzbuch

https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__218.html

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/abtreibungsparagraf-200096

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/die-abtreibungsdebatte-der-neuen-frauenbewegung

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/unsere-baeuche-gehoeren-uns-schon-lange-wirklich-selbstbestimmung-und-abtreibung-der-ddr

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_über_die_Unterbrechung_der_Schwangerschaft